Löw: "Eine gewisse Orientierung für mich", 15.08.2012

Fehlstart ins Länderspieljahr, trotz teilweise ansprechender Leistung im Duell der Weltmeister. Nach dem 1:3 in Frankfurt gegen den zweimaligen Titelträger Argentinien stellt sich Bundestrainer Joachim Löw der Kritik, zieht sein persönliches Resümee und blickt nach vorne Richtung WM-Qualifikation.

Frage: Ihr ehemaliger Torwart Oliver Kahn hat als ZDF-Experte die Nationalmannschaft nach der Niederlage gegen Argentinien hart kritisiert und vor allem das Abwehrverhalten bemängelt. Wie stehen Sie zu diesen Aussagen?

Joachim Löw: Ich teile seine Meinung bedingt. Natürlich hätten wir einige Situationen besser lösen können, in denen wir uns zu früh haben rauslocken lassen. Uns war klar, dass es im Zentrum sehr schwer würde, aber dass wir dem Gegner in einigen Situationen zu viel Platz gelassen haben, war in Unterzahl gar nicht nötig. Keine Frage, das müssen wir besser machen. Daran werden wir arbeiten.

Frage: Kahn hat auch behauptet, dass einigen Spielern zehn Prozent an Willen fehlt.

Löw: Das sehe ich nicht so. Wer will das denn beurteilen, ob zwölf, zehn oder acht Prozent fehlen. Ich kann taktische Dinge einschätzen, technische Dinge sehen und beurteilen, ob einer einen Fehler macht. Wir haben einige taktische Fehler gemacht. Ich kann aber keinem Spieler vorwerfen, dass er nicht alles gegeben hat. Die Mannschaft hat nichts unversucht gelassen.

Frage: Wie fällt denn Ihre Bewertung des ersten Saisonspiels aus?

Löw: Es ist schwer, das auf den Punkt zu bringen, weil einfach zu viel in diesem Spiel gegen uns gelaufen ist. Wir haben 20, 25 Minuten sehr gut angefangen. Die Rote Karte hat uns ins Hintertreffen gebracht. Dann kam auch noch das Eigentor hinzu. Danach war es schwer für uns gegen so Klasseleute wie Messi, Higuain oder di Maria. In Unterzahl ist es schwer, den Gegner früh zu stören. In den ersten 20 Minuten haben wir es geschafft, später nicht mehr. Wir hatten in der Anfangsphase auch einige gute Chancen, aber wie schon bei der EM war unsere Chancenauswertung nicht optimal.

Frage: Welche Erkenntnisse haben Sie für die bevorstehende WM-Qualifikation gewonnen?

Löw: Das war eine erste Standortbestimmung, sozusagen eine gewisse Orientierung für mich, wo der ein oder andere Spieler steht. Die Färöer sind im September ein ganz anderer Gegner, der sicher nicht so offensiv spielen wird. Wichtig war, dass ich in den zwei Tagen mit der Mannschaft kurz über die EM sprechen konnte, was wir im September dann noch vertiefen werden, wenn hoffentlich wieder alle dabei sind. Dann haben die Spieler auch schon wieder zwei, drei Pflichtspiele absolviert und sind in besserer Verfassung. Vor allem in Unterzahl hat man gemerkt, dass bei einigen Spielern nach der harten Vorbereitung die Frische fehlt.

Frage: Wie beurteilen Sie die Schlüsselszene des Spiels mit der Roten Karte gegen Torwart Ron-Robert Zieler?

Löw: Ich weiß nicht, ob er sich zu spät von der Linie bewegt hat. Das erlebt man häufig, dass ein Torhüter einen Tick zu spät kommt. Eines ist aber klar: Wer diese Regel erfunden hat, möchte ich gar nicht wissen. Sie ist einfach unsinnig.

Frage: Mussten Sie Zieler nachher aufrichten?

Löw: Natürlich war er ziemlich betrübt. Aber besonders aufrichten musste ich ihn nicht, denn so etwas ist schon ganz anderen passiert. Es war einfach eine unglückliche Situation.

Frage: Sein Vertreter Marc-André ter Stegen kassierte nach seinem unglücklichen Einstand beim 3:5 in der Schweiz wieder drei Gegentreffer. Wie ist es um seine Gemütslage bestellt?

Löw: Marc musste man auch nicht aufbauen, denn er hat einen Elfmeter gegen Messi gehalten. Das war ein gutes Gefühl für ihn, und das wird er mitnehmen. Anschließend hat er auch noch ein paar andere Bälle gut gehalten. An den Toren konnte er diesmal nichts machen.

Frage: Marco Reus hat mit einer couragierten Leistung seine Wahl zum Fußballer des Jahres unterstrichen. Wie beurteilen Sie seine Leistung?

Löw: Marco hat seine Klasse bewiesen und kann in der Nationalmannschaft in den nächsten Monaten noch einige große Schritte machen. Er hat große Fähigkeiten, das hat man gegen Argentinien gesehen. Aber nicht nur Marco Reus, auch Mario Götze hat hervorragende Anlagen. Ich denke, dass einige junge Spieler in Zukunft eine gute Rolle einnehmen werden.

Frage: Wie haben Sie die Reaktion des Publikums während des Spiels wahrgenommen?

Löw: Ich muss mich beim Publikum bedanken, dass es uns auch nach dem 0:3 noch unterstützt hat. Das ist ja keine Selbstverständlichkeit.

15 August 2012
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